O1R2 Recht Verkehrssicherung
Gesetzliche Definition
1. Gesetzliche Grundlagen
Eine Verkehrssicherungspflicht, seit der Rechtsprechung des Reichsgerichts auch Verkehrspflicht genannt, ist in Deutschland eine deliktsrechtliche Verhaltenspflicht zur Abwehr von Gefahrenquellen, deren Unterlassen zu Schadensersatzansprüchen nach den §§ 823 ff. BGB führen kann. Die Verkehrssicherungspflichten entstanden vor dem Hintergrund der „rechtswidrigen Verletzung“ der in § 823 Absatz 1 BGB genannten Rechte und Lebensgüter.
Auszug:
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
§ 823 Schadensersatzpflicht
(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.
2. Verkehrssicherungspflicht am Arbeitsplatz
Welche Verkehrssicherungspflichten in Gewerbebetrieben bestehen, wird durch die jeweils geltenden Unfallverhütungsvorschriften definiert, gemäß derer ein Unternehmer verpflichtet ist, einen sicheren Betrieb zu gewährleisten.
Eine Gefährdung dieses sicheren Betriebes liegt vor, wenn eine Gefahrenquelle und eine Person sowohl räumlich als auch zeitlich aufeinandertreffen. Beispielsweise ein loses Brett (= Gefahrenquelle), welches auf einer Maschine abgelegt worden ist: fällt es herunter, während gerade ein Mitarbeiter vor der Maschine steht, so dass dieser verletzt wird, handelt es sich um eine Gefährdung des sichern Betriebes. Fällt das Brett jedoch zu einem Zeitpunkt herunter, zu dem kein Mitarbeiter zugegen ist, ist es zwar immer noch als eine Gefahrenquelle zu betrachten, jedoch liegt keine Gefährdung vor.
Doch auch andere Kriterien können als Gefährdung des sicheren Betriebes angesehen werden:
- Fehlende oder unzureichende Schutzkleidung
- Gesundheitsgefährdende Materialien
- Physikalische, chemische oder biologische Einwirkungen
- Schadhafte Arbeitsgeräte
- Ungesicherte oder nicht einsehbare Verkehrswege
- Unqualifiziertes Personal
Grundsätzlich obliegt die Verkehrssicherungspflicht dem Arbeitgeber, doch sie erstreckt sich nicht ausschließlich auf seine Arbeitnehmer: auf einem Betriebsgelände gilt die Verkehrssicherungspflicht auch gegenüber Besuchern und Kunden.
3. Verkehrssicherungspflicht auf Straßen
Die Verkehrssicherungspflicht auf Straßen bezieht sich darauf, dass alle Verkehrsteilnehmer, die diese zweckgebunden nutzen, vor Gefahren geschützt werden müssen, welche aus dem Zustand der Straßen herrühren. Dieser Zustand kann sich beispielsweise auf die Räum- und Streupflicht beziehen, aber auch auf Schlaglöcher etc., von denen eine Gefahr für Verkehrsteilnehmer ausgehen könnte (OLG Koblenz, 03.03.2008, 12 U 1255/07).
Die Verkehrssicherungspflicht auf öffentlichen Straßen obliegt dem Träger der Straßenbaulast, welcher somit auch die Verantwortung für deren Einhaltung trägt. Dabei ist jedoch zu beachten, dass der zuständige Träger nicht dazu verpflichtet ist, die Straßen und Wege in einem 100 % sicheren Zustand zu erhalten (LG Magdeburg, 10.03.2011, 10 O 22/11).
4. Verkehrssicherungspflicht als Betreiber / Vermieter
Der Betreiber / Vermieter muss alles tun, um Mieter bzw. ihre Haushaltsangehörigen, Nutzer und Besucher vor Schäden an Körper und Gesundheit durch den mangelhaften Zustand der Mietwohnung / Objekt zu bewahren.
Grundsätzlich trifft den Betreiber / Vermieter eine allgemeine Prüfungs- und Überwachungspflicht für alle Teile des Objektes / Hausgrundstücks. Er hat Kontrollen und auch Vorkehrungen zu treffen, so dass seine Nutzer, Besucher, Mieter vertragsgemäß und gefahrlos die Objekte / Mietsache gebrauchen können.
Der Betreiber / Vermieter trägt die Sorge dafür, dass z.B. die Treppenhausbeleuchtung funktioniert, schadhafte Treppenstufen ausgebessert werden, Hof, Keller und Dachboden keine Gefahren bergen. Besonders sorgfältig müssen z.B. die Türverschlüsse bei einer Fahrstuhlanlage überprüft werden. Es ist ausreichend, dass das Dach alle drei bis 12 Monate einer Überprüfung unterzogen wird. Sanitäre Einrichtungen in den Mieträumen und elektrische Anlagen im Haus müssen ohne konkreten Anlass nicht geprüft werden.
Der Betreiber / Vermieter hat aber auch die Verpflichtung gegenüber jedem, der das Hausgrundstück betritt (Nutzer, Postbote, Besucher), erforderliche Vorkehrungen zu seinem Schutze zu treffen. Gefahrenquellen sind insofern zu beseitigen.
Mit Anordnung der Zwangsverwaltung geht die Verkehrssicherungspflicht auf den Zwangsverwalter über. Sofern der Vermieter seine Prüfungs- und Überwachungspflicht auf einen Hausverwalter oder eine Verwaltungsfirma überträgt, so wird dieser im Schadensfall hierdurch nicht haftungsfrei, da dieser gem. § 278 BGB auch für das Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen einstehen muss.
Die Gerichte stellen hohe Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Vermieters. Sofern dieser nicht nachweisen kann, dass er oder sein Vertreter regelmäßige Kontrollen durchgeführt hat, so liegt eine schuldhafte Pflichtverletzung vor, wenn Dritte eine Verletzung erleiden.
Jedoch kann der Vermieter Teile seiner Verkehrssicherungspflicht, wie z.B. die Streupflicht, vertraglich seinem Mieter / Nutzer Objekt übertragen.
Sofern der Mieter schuldhaft die ihm übertragene Pflicht verletzt, so kann der Geschädigte sowohl ihn als auch den Vermieter in Anspruch nehmen. Falls dem Vermieter allerdings der Nachweis gelingt zu beweisen, dass es den Mieter gewissenhaft ausgewählt hat, so haftet nur der Mieter / Nutzer Objekt. Gelingt dieser Entlastungsbeweis dem Vermieter hingegen nicht, so ist er gegenüber dem Geschädigten gegenüber verpflichtet, Schadensersatz zu leisten. Wenn der Betreiber / Vermieter in Anspruch genommen wurde, kann dieser beim Mieter Regress nehmen.
Erleidet der Nutzer, Besucher, Mieter einen Schaden, obwohl er Kenntnis von der Gefahrenquelle hat, entfällt ein Schadensersatzanspruch möglicher Weise; zumindest muss sich der Mieter ein Mitverschulden anrechnen lassen.
5. Bestandsschutz und Verkehrssicherheit
Der Begriff Bestandsschutz beschreibt allgemein im öffentlichen Recht das Phänomen, dass eine Genehmigung in Ihrer ursprünglichen Form weiter gilt, obgleich neuere Gesetze schärfere Anforderungen stellen und heute zur Erlangung einer gleichen Genehmigung eine höhere Hürde zu erklimmen wäre.
Der Bestandsschutz kann im Rahmen der Feuerbeschau / Verkehrssicherungspflicht in der Regel nicht beurteilt werden, da die genehmigten Pläne und entsprechende Auflagen dazu nicht vorliegen.
Grundsätzlich ist es oft schwierig zu erklären, selbst vor Gericht ist es Bauaufsichtsbehörden und Justizen nicht immer möglich dies eindeutig zu klären.
Bestandschutz besteht jedoch dann, wenn folgende Kriterien erfüllt sind:
- Die Bauliche Anlage muss seit dem Genehmigungszeitpunkt unverändert sein. (Kein Ausbau Dachgeschoß, keine Umbauarbeiten die Aufteilung und Nutzung verändern)
- Die Nutzung muss gleich sein. (Nicht vorher Wohnung, jetzt Büro, oder Kindergarten usw.)
- Es darf keine erhebliche Gefahr nach Artikel 54 BayBO vorhanden sein.
Auszug:
BayBO Artikel 54 Absatz 4 bis 6
- (4) Bei bestandsgeschützten baulichen Anlagen können Anforderungen gestellt werden, wenn das zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit notwendig ist.
- (5) Werden bestehende bauliche Anlagen wesentlich geändert, so kann angeordnet werden, dass auch die von der Änderung nicht berührten Teile dieser baulichen Anlagen mit diesem Gesetz oder den auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften in Einklang gebracht werden, wenn das aus Gründen des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 erforderlich und dem Bauherrn wirtschaftlich zumutbar ist und diese Teile mit den Teilen, die geändert werden sollen, in einem konstruktiven Zusammenhang stehen oder mit ihnen unmittelbar verbunden sind.
- (6) Bei Modernisierungsvorhaben soll von der Anwendung des Abs. 5 abgesehen werden, wenn sonst die Modernisierung erheblich erschwert würde.
- Definition erhebliche Gefahren für Leib und Leben (Beispiele):
- Holztreppen mit Holzgeländer in Gebäuden mit mehr als 5 Vollgeschosse
- Wandverkleidung aus Holz über mehr als 1 Geschoss, wenn Sie direkt an die Wand, ohne Hohlraum angebracht wurde
- Wandverkleidung aus Holz über 3 m² wenn ein Hohlraum vorhanden ist
- Fenster oder Oberlichter mit Einfachverglasung zwischen Wohnung und Treppenraum
- Türen mit Einfachverglasung, bzw. Türen ohne Feuerwiderstand
- Fehlender 2. Flucht- und Rettungsweg wenn keine Brandabschnitte zur Verfügung stehen
- Fehlende Brandmeldeanlagen und Löschsysteme
6. Verkehrssicherungspflichten Garten, Bäume und Sträucher
Grundsätzlich ist es so, dass bei Bäumen die Verkehrssicherungspflicht beim jeweiligen Grundstücksbesitzer liegt. Das bedeutet, dass dieser dafür Sorge zu tragen hat, dass durch seine Bäume keine Gefahren ausgehen. Diese sind beispielsweise durch herabhängende oder abgeknickte Zweige, abgestorbene oder überhängende Äste oder morsche Baumteile gegeben. Es ist also notwendig, regelmäßig eine Zustandsprüfung der Bäume durchzuführen.
Um seiner Verkehrssicherungspflicht nachzukommen, hat der Baumbesitzer grundsätzlich vier verschiedene Möglichkeiten:
- Personen und mögliche Gefahrenquellen trennen, was beispielsweise durch das Aufstellen eines Zaunes möglich ist
- Aufstellen von Warnschildern, auf denen Menschen vor potentiellen Gefahrenquellen gewarnt werden
- Gefahrenquellen beseitigen, beispielsweise, indem er einen morschen Baum fällt
- Potentiell gefährdete Personen schützen, indem er ihnen Schutzkleidung, beispielsweise einen Helm, zur Verfügung stellt.
Zu beachten ist, dass der Baumbesitzer regelmäßig zu prüfen hat, ob von seinen Bäumen potentielle Gefahren ausgehen, also beispielsweise auf marode und überhängende Äste achten muss. Erst dann zu reagieren, wenn Gefahrenquellen offensichtlich vorhanden sind, ist keine korrekte Ausführung der Verkehrssicherungspflicht. Regelmäßige Baumkontrollen sind zwingend erforderlich.
Wie bereits erwähnt, obliegt es einem Grundstücksbesitzer, seine Bäume regelmäßig auf mögliche Gefahrenquellen hin zu untersuchen. Tut er es nicht und entsteht dadurch ein Schaden, so wird er für diesen haftbar gemacht.
Stellt beispielsweise der Halter eines Pkw sein Fahrzeug unter einem Baum ab, von welchem ein Ast abstürzt, da keine ausreichende Qualitätskontrolle vorgenommen worden ist, muss der Besitzer des Baumes für diesen Schaden aufkommen (OLG Hamm, 31.10.2014, 11 U 57/13). Eine schuldhafte Pflichtverletzung ist hierbei gegeben; der Baum hätte regelmäßig kontrolliert werden müssen.
Nicht jeder Schaden, der seitens eines Baumes verursacht wird, ist jedoch gleichbedeutend mit einem Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht: Bricht beispielsweise ein gesunder Ast ab und verletzt dadurch einen Menschen, so wird dies seitens der Gerichte als ein naturgegebenes Risiko eingestuft, welches hinzunehmen ist.
Schadensersatzansprüche seitens des Geschädigten bestehen somit nicht (OLG Karlsruhe, 21.10.2010, 12 U 103/10).
So sieht es auch der Bundesgerichtshof: der Besitzer haftet nicht für Schäden, welche durch natürlichen Astbruch gesunder Bäume entstanden sind (BGH, 06.03.2014, III ZR 352/13).
Besondere Gefahrenquellen in Gärten können sein:
- Gartenteiche, Wassertonnen
- Giftige Pflanzen
- Gräben
- Mauern
- Baustellen
- Unterfluranlagen
- Spielplätze